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HA Schult

*1939 in Parchim
Lebt und arbeitet in Köln

Trash People, 1996

Mixed Media
je 180 x 100 x 60 cm
HA Schult Museum of Action Art



Cola-Dosen, Elektroschrott und anderer Plastikmüll fügen sich in den „Trash People“ zu einem Ganzen zusammen, sodass lebensgroße menschliche Figuren entstehen. Seit 1996 produziert der Künstler HA Schult die „Trash People“ und verwertet hierbei gefundenen Abfall wieder. Teils bestehen sie aus einem einzigen Produkttyp, teils vereinen sie unterschiedlichste Formen von Müll. Seit ihrer Entstehung sind sie auf der Reise um den Globus. HA Schult
(Foto: David von Becker, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Als „Geflüchtete der Konsumgesellschaft“ wandern sie um die Welt und verweilen mal auf der Chinesischen Mauer, mal in der Arktis, Rom, Tel Aviv oder Gorleben. Orte von globaler oder lokaler Relevanz. Still in Reih und Glied wartend, wirken die Konstellationen hunderter anthropomorpher Müllfiguren in den Stadtzentren und menschenleeren Landschaften wie eine Armee.

Die drei in Bingen ausgestellten Skulpturen gehören jenen Legionen von Müllmenschen an und vermitteln als Botschafter die so gegenwärtigen Fragen von Konsum, Klimakrise und Wiederverwertung.

HA Schult lässt sich frühen Strömungen der Umweltbewegungen zuordnen, die sich ab den 1960er Jahren kritisch mit der entstehenden Konsumgesellschaft und den immer umweltschädlicheren Produktionsbedingungen auseinandersetzen. Während auf gesamtgesellschaftlicher Ebene das zunehmende Aufkommen von Müll als unbedeutender Nebeneffekt der aufstrebenden Wirtschaft heruntergespielt wurde, wendet sich HA Schult diesem Phänomen zu und macht es zum materiellen und inhaltlichen Zentrum seines Werkes. Damit steht der Künstler in der Tradition verschiedener Kunstströmungen, wie der Arte Povera, die mithilfe "armer" Materialien und Abfällen die Vorstellungen von schöner Kunst herausforderten. In diesem Sinne bringt auch HA Schult in seinen Aktionen Unmengen an Abfall zurück in die Städte, müllt regelrecht die Straßen zu und führt so das Ausgeblendete zurück ins kollektive Bewusstsein.

Denn Müll verschwindet nicht einfach – er ist das, was nach dem Konsum bestehen bleibt. Er wird wegtransportiert. An die Stadtränder, in die Mülldeponien, in andere, ärmere Länder. An diesen Orten soll man sich um die Reste der Konsumgesellschaften kümmern, Wertvolles wiederverwenden, Wertloses vernichten oder verrotten lassen. Doch ein großer Teil ist und bleibt Müll, und zwar in solchen Mengen, dass das Problem nicht mehr ausgeblendet werden kann. Die Verschmutzung durch Abfälle ist längst zum globalen Klimaproblem geworden. Riesige Inseln von Müll schwimmen in den Ozeanen und ganze Landstriche sind überzogen von Müllbergen. Sie sind die gegenwärtigen Ruinen der globalisierten Marktwirtschaft – die „Pyramiden der Gegenwart“. Die Coca-Cola-Flasche von heute, so HA Schult, ist der römische Fund von morgen. Müll ist das Zeugnis der Menschheit, selbst wenn diese nicht mehr sein sollte. Denn selbst in ihrer Abwesenheit werden die Müllberge die Geschichte der industriellen Konsumgesellschaften erzählen können. Die Waren der Gegenwart werden die Fossilien der Zukunft sein.

Jedes Produkt ist, sobald es einmal verbraucht, weggeworfen, zerstört wurde, befreit von seinem schimmernden Warencharakter und verliert an Wert. Indem HA Schult Müll verwendet und daraus Kunstwerke schafft, entwickelt er einen Bezug zu der geläufigen Unterscheidung zwischen dem, was weg kann – dem Wertlosen und Unansehnlichen – und dem, was von Wert ist – Kunst, Waren und Neues. Ähnlich wie die Künstler*innen der Arte Povera, wendet er sich bewusst dem Wertlosen zu und erschafft damit Denkfiguren, die das menschliche Handeln und Wirtschaften auf den Prüfstand stellen.

Damit erscheinen die „Trash People“ als hybride Wesen. Sie sind halb Vergangenheit, insofern sie uns die Menge an Müllvor Augen führen, und teils Zukunft, indem sie uns die Konsequenzen unseres Konsumwahns aufzeigen.

Letztendlich wird deutlich, dass der Mensch von seinen Produkten und Abfällen nicht nur nicht trennbar ist. Vielmehr ist er das, was er produziert. Dabei wird in den Überbleibseln der Konsumgesellschaft – dem Müll – das menschliche Wesen am deutlichsten. Oder wie HA Schult betont: „Wir produzieren Müll und werden zu Müll“. Mit diesem Verständnis reisen die „Trash People“ ruhig umher – bis sich die Menschheit in ihnen wiedererkennt und sich der Konsequenzen ihres Handelns und Konsums bewusst wird.

(N.G.)

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