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Wilhelm Klotzek

*1980 in Berlin
Lebt und arbeitet in Berlin

An der Ecke, 2017

Stahl, pulverbeschichtet
250 x 155 x 110 cm
Sammlung Leinemann, Berlin



Rauchen und Kunst. Das ist gewissermaßen eine Tradition. Wer cool, kreativ oder geheimnisvoll wirken möchte, der muss nun mal rauchen. Und das bis heute – von den Kunsthochschulen bis zu den Ateliers großer Künstler*innen. Wilhelm Klotzek
(Foto: David von Becker, Berlin)

Doch während die Zigarette dort als Accessoire, Suchtmittel oder nebenläufiges Sujet auftaucht, macht Wilhelm Klotzek sie zu einem seiner zentralen Materialien und Motive. Ebenso wie Beuys Fett und Filz für sich fand, suchte auch Klotzek ein ganz alltägliches Material und fand es in der Zigarette, die sich zwischen Assoziationen mit Coolness, Konsumkultur und Verfall bewegt. Rauchen ist eine vielschichtige Angelegenheit. Was Intellektuelle interessant macht, bestätigt bei sog. Sozialhilfeempfänger*innen jedes negative Klischee. Geraucht wurde und wird im Osten wie im Westen. Doch während man nach dem Mauerfall im Westen gemütlich weiter Bier oder Kaffee zur Zigarette trank, wurde die Zigarette im Osten zum Symbol des Verfalls und der Einsamkeit. Denn schließlich, so Klotzek, habe sich auch die DDR von einem auf den anderen Tag in Rauch aufgelöst.

Geboren und aufgewachsen im Berlin der Wendezeit, hat Klotzek die Auseinandersetzung mit der post-sozialistischen Wirklichkeit zu seiner künstlerischen Mission gemacht. Sein persönlicher Lebens weg, der mit dem Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein Anderes gezeichnet ist, dient ihm als Ausgangspunkt seiner künstlerischen Praxis.

Klotzeks Vater war ein bekannter ostdeutscher Fotograf – bis zum Mauerfall. Ab diesem Moment habe sich für seinen Vater kein Mensch mehr interessiert. Das Stopfen und das Rauchen von Zigaretten, so Klotzek, sei für seinen Vater eine Art Beschäftigungstherapie gewesen, in einer Zeit ohne andere Beschäftigung.

Die lebensgroße, aus Stahl gefertigte Zigarette lehnt lässig an einem Rohrpfosten. Frei nach dem Motto „Nikotin tötet langsam. Wir haben Zeit“ raucht sie in aller Seelenruhe eine Miniaturversion ihrer selbst. An dem Pfosten sind zwei Straßenschilder angebracht. Adolf-Endler-Gasse und Gundula-Schulze-Eldowy-Allee. Kurz im Internet nachgeschaut, stellt man fest, dass es beide Straßen in Berlin nicht gibt, und auch nirgends sonst in Deutschland zu geben scheint. Spaziert man durch das heutige Berlin, so fallen einem viele Straßennamen auf. Wichtige Intellektuelle, Politiker*innen und Künstler*innen prägen die Straßenschilder. Doch wie viele Schilder erinnern an ostdeutsche Persönlichkeiten? Dabei hätte es der Dichter und Schriftsteller Adolf Endler wirklich verdient: Mit seinem erfolgreichen Buch Tarzan am Prenzlauer Berg wurde er der breiteren Öffentlichkeit bekannt und gab Einblick in das Ost-Berliner Leben der Jahre vor dem Mauerfall. Tatsächlich soll Endler früher öfter zu Gast in der elterlichen Wohnung Klotzeks gewesen sein, wo oppositionelle Treffen und Lesungen abgehalten wurden.

Was Endler mit Worten verarbeitete, hielt Gundula Schulze Eldowy als eine der bekanntesten und aufsehenerregendsten Fotografinnen Ostdeutschlands in ihren Fotografien fest. In Bildzyklen, wie Berlin in einer Hundenacht entwarf sie ein Porträt Ostberlins, das zum öffentlichen Bild der DDR kaum gegensätzlicher sein könnte. Klotzek setzt diesen zwei, im Stadtraum unsichtbaren Biografien mit „An der Ecke“ ein absurdes Denkmal, das dazu einlädt, mal selbst eine zu rauchen und über die deutsch-deutsche Vergangenheit nachzudenken.

(N.G)

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