Rainer Mang
*1943 in Offenbach am Main
+2007 in Berlin
Lebte und arbeitete in Berlin
Auf der Suche nach dem Klee der 90er Jahre, 1987
Bruchstein, Beton, Glas60 x 80 x 50 cm
Privatsammlung über Neues Museum Nürnberg
Ursprünglich ausgebildet zum Maurer, arbeitete Rainer Mang früh im Stahlbau, in Schreinereien und auf Baustellen. Hier fand er seine Liebe für raue, gefundene Werkstoffe: Scherben, Steine, Kohle und Schotter, die er später in seinen Skulpturen verwertete. Im Rahmen der Kreuzberger Künstlergruppe 1/61 suchte er zusammen mit Künstler*innen wie ter Hell, Reinhard Pods und Elke Lixfeld Wege, die klassischen Gestaltungsweisen der Malerei und Plastik zu aktualisieren und auf den Kopf zu stellen. In dieser Zeit arbeitete Mang daran, das Stillleben in die Skulptur zu übersetzen und verarbeitete hierfür "arme" Materialien, die bereits auf Baustellen und der Industrie Verwendung fanden. Im Zusammenspiel aus abstrakten Stillleben und fragmentarischer Materialität vertieft sich der Eindruck des Verfalls, welcher dem Stillleben eingeschrieben ist und durch die charakteristischen Risse, Brüche und Splitterungen noch verstärkt wird.
(Foto: David von Becker, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)
Nach einem Aufenthalt in Florenz wendet sich Mang ab 1981 der figurativen Bildhauerei zu – vermutlich inspiriert von den bildhauerischen Zeugnissen Michelangelos, ebenso wie von einer generellen Bewegung der Bildhauerei hin zur Figuration im Rahmen der „Neuen Wilden Malerei“.
In diesem Zuge wird für ihn die Umkehrung der Skulptur zentral. Das wortwörtliche Auf-den-Kopf-stellen seiner Figuren verdeutlicht dabei eine Verweigerungshaltung gegen die konventionellen Sehgewohnheiten, die die Kunstproduktion der 80er Jahre prägen wird.
Wie in den meisten Arbeiten dieser Zeit, besteht die Oberfläche der Skulptur aus einem Mosaik von Bruchstücken. Die verschieden großen Scherben bilden die grobe und massive Haut der Figur. Immer wieder ragen scharfe Glasscherben aus dem Beton hervor. Man traut sich kaum, das Werk anzufassen, aus Angst einen Schnitt davon zu tragen. Die Oberfläche der Skulptur wirkt wie eine Rüstung – robust und widerständig. Dabei wirkt die Figur selbst harmlos und nahezu niedlich. Eine runde Kugel stellt den Kopf dar, kurze Beine mit klotzigen Füßen gehen in einen formlosen Torso und kleine gebeugte Arme über. Die Figur bückt sich, legt den Kopf auf den Boden der Kiste. Wie ein Kind, das neugierig etwas auf dem Boden inspiziert oder sich fragt, ob man die Erde eigentlich hören kann. Und vielleicht kann die Figur durch die Spalten der Holzkiste etwas erkennen?
Mang gibt mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Klee der 90er Jahre“ einen wagen Hinweis. Während manchen die Assoziation mit Paul Klee, der sein künstlerisches Schaffen durchweg der Abstraktion und dem Spiel mit Wahrnehmung gewidmet hat, augenscheinlich ist, werden andere an die bedeutungsschwere Pflanze denken müssen. In Europa wird Klee als Symbol der Hoffnung und des Glücks gewertet. Das vierblättrige Kleeblatt steht in der christlichen Symbolik für das Gute und als Abwehr gegen böse Kräfte. Wer ein vierblättriges Kleeblatt findet, dem wird etwas Gutes geschehen. Doch wo ist dieser Klee, wo ist das Gute? Etwa in der hölzernen Kiste?
Mit seiner 1987 entstandenen Skulptur erahnt er das Lebensgefühl am Ende des Kalten Krieges, den Zusammenbruch einer zweigeteilten Weltordnung. Die 90er Jahre wurden zum Jahrzehnt des Zusammenbruchs und zugleich der Hoffnung endlich eine bessere Welt realisieren zu können. Mang, der selbst im isolierten Westberlin arbeitete, wird dieses Gefühl nur zu gut gekannt haben. Zwischen Verfall und Hoffnung, wirkt die Skulptur wie ein Rückzug in sich selbst, in seine Wünsche und Träume – zum Individuum, das für sich und sein Glück eigens verantwortlich ist. Für immer auf der Suche, sich verrenkend für jedes Glücksversprechen sucht er überall, selbst die leere Holzkiste könnte das Gute verstecken. Geschaffen aus dem Schutt der Vergangenheit, gestaltet sich das menschliche Leben als Suche nach dem Anderen, dem Besseren, dem Alten oder dem Neuen. Doch wenn wir suchen, das Bessere greifen wollen, wo bleibt dann das Jetzt, die Gegenwart?
(N.G)