Dagmar Vogt
*1960 bei Köln
Lebt und arbeitet in Herdecke und im Allgäu
„Upside down – die Welt mit anderen Augen sehen“, 2018
Bronze220 x 40 x 30 cm
Leihgabe der Künstlerin
Variieren und experimentieren sind zwei unerlässliche Aspekte für die künstlerische Tätigkeit von Dagmar Vogt. Diese erreicht sie skulptural, zum einen durch unterschiedliche Sujets wie beispielsweise Pflanzen oder menschliche Darstellungen, zum anderen mittels der Verwendung von verschiedenen Materialien wie Gips, Bronze, Acryl und Beton. Ihre Grundausbildung in Metallbau verhilft ihr dazu, mit einem Schweißgerät genauso gekonnt umzugehen wie mit einem Pinsel. Dies setzt sie an ihren Skulpturen um, indem sie beispielsweise nach dem Bronzeguss diese selbst nachbearbeitet. Skulpturen, die mehrere hundert Kilogramm wiegen, wirken dennoch leicht und grazil. Auch dessen verlängerten Proportionen tragen zu diesem Erscheinungsbild bei und erinnern an Alberto Giacomettis schlanke Figuren, mit übermäßig langen Beinen und Armen.
(Foto: David von Becker, Berlin)
Bilder- oder Skulpturen-Serien verhelfen der Künstlerin, sich auszuprobieren. Sie geben ihr den Freiraum, sich einem bestimmten Material, Technik oder Motiv zu nähern. So bezieht sich Vogt in einer skulpturalen Serie auf das Tanztheater von Pina Bausch. Neun Figuren stellen unterschiedliche Tanz-Positionen dar. Dabei scheinen die Gestalten in ihrer Bewegung erfroren zu sein. Hier lässt sich auch ein zentrales Sujet der Skulpturen von Vogt herleiten, und zwar der Körper. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit den Grenzgängen zwischen anatomischer und abstrahierter Darstellung auseinander. Zwar lassen sich Gesichter in ihren Skulpturen wiedererkennen, jedoch sind die anatomischen Proportionen irrtümlich. Auch die überwiegende Abwesenheit von Kleidung lässt die Körper noch mehr zur Geltung kommen.
Die vorliegende Skulptur „Upside down – die Welt mit anderen Augen sehen“ scheint ebenfalls im Moment ihrer Bewegung verewigt zu sein. Die Arme sind zu einem Dreieck angewinkelt, stützen den dazwischenliegenden Kopf, während sich der Oberkörper, die Beine und Füße gerade in Richtung Himmel ausstrecken.
Sie nimmt die vertikale Yoga Position Shirshasana ein. Diese soll dazu verhelfen, die Arme und Schultern zu stärken, das Blut zum Herzen fließen zulassen und somit die Venengesundheit zu unterstützen. Weiterhin soll diese Haltung kreatives Denken, Mut, Konzentration, Gleichgewicht und Koordination anspornen.
Möglicherweise eine geistige und körperliche Stärkung zur Neuauslegung der Betrachtungsweisen, die in dem Werktitel angedeutet wird. Die Welt mit anderen Augen sehen durch die Einnahme der vertikalen Yoga Position. Eine auf den Kopf Stellung der Wirklichkeit, die somit anders wahrgenommen werden kann. Doch um welche Wirklichkeit handelt es sich? Das Überdenken der Stellung von Frauen in der heutigen Gesellschaftsordnung? Die weiblichen Züge der Skulptur lassen es vermuten. Wie die Künstlerin den Körper zum Schwerpunkt ihrer Skulpturen macht, so haben sich viele feministische Theoretiker*innen wie Silvia Federici dem weiblichen Körper als Austragungsort für mannigfaltige Debatten und Politiken gewidmet. Federici setzt beispielsweise den weiblichen Körper in Zusammenhang mit der kapitalistischen Weltordnung. Ihr zufolge war nicht der Kapitalismus die erste “Maschine”, sondern die weibliche Gebärmutter. Eine “Maschine”, die, wenn sie unterworfen wird, in der Lage ist, unendlich viele andere “Maschinen” zu produzieren und das System somit zu versorgen. Deshalb werden Formen der Wiederaneignung des weiblichen Körpers wie die der Hexen, in denen der weibliche Körper nicht mehr als Erzeuger von Arbeitskraft fungiert, unterdrückt. In Schriften wie Jenseits unserer Haut. Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus öffnet sie den Diskurs, tangiert Thematiken wie Sklaverei, Ernährung, Leihmutterschaft, Abtreibung usw. und zeigt auf, wie der menschliche Körper – insbesondere der weibliche – in einer tiefgreifenden politischen Beziehung zu seiner Umwelt steht. Vogts Skulptur reiht sich in diesen Diskurs ein, insofern sie selbst ihren Körper einsetzt, ihn nutzt, um eine neue Sicht auf die Welt zu erlangen und ihn so aus den Daseinsberechtigungen befreit, die ihm von Dritten auferlegt werden.
(E.T.)